Unsozialstaat
Deutschland
Verlag Quadriga, 2023
Zur Absurdität, Kriege, Flucht und Armut als Verantwortungswesen
jedes einzelnen zu bequatschen, sei der auch noch so ohnmächtiger
den Staaten Unterworfener oder selber deren Opfer
Im Vorwort werden die disparatesten nationalen und internationalen
Vorkommnisse wie "Angriffskrieg" in der Ukraine, Coronapandemie,
Ertrinken von Menschen im Mittelmeer, Menschenrechtsverletzungen
oder "Alibi-Entlastungspaket" der Bundesregierung aufgezählt, um
dies alles gleichmacherisch verkehrt und absurd unter den einen
Gesichtspunkt einzureihen: hier sei fehlende Menschlichkeit
oder Mitmenschlichkeit am Werk.
"Irgendwas
in mir sagt, dass das nicht alles sein kann, was die Menschheit
zu bieten hat: der Hass, die Kriege, die Ignoranz...
Was treibt uns in den Hass? Was macht uns zu diesen
egozentrischen und unsozialen Wesen?"
Glaubt
die Autorin im Ernst, dass Kriege wegen grassierendem Hass der
Menschen zustande kommen? Es kann doch gar nicht übersehen
werden, dass hier sehr unterschiedliche Subjekte involviert sind:
die einen, die "Machtmenschen", die nach ihren Interessen als
Gewaltmonopolisten über Krieg und Frieden entscheiden - und die
anderen, die Massen der Unmaßgeblichen, die unter dem Kommando der
Staaten stehen, sich als denen Unterworfenen sich für deren
gewalttätige Belange bis zur Aufopferung in den von Staaten
erklärten Waffengängen herzugeben haben.
Nicht
weniger absurd: auf Armut, Obdachlosigkeit und Flüchtende zu
deuten, um dies zu einer Frage des Helfens für Menschen in Not zu
verfabeln. Nicht welche gesellschaftlichen Umstände und welche
staatliche Agenda die beschriebenen Notstände erzeugen
geht die Verfasserin nach, sondern dass es Hürden subjektiver Art
(man verdränge, wie man den Notfällen helfend zur Seite stehen
könne) und anderer Art gäbe.
Es
sei "...einfacher und bequemer, jemand anderem die
Verantwortung dafür zuzuschieben": dieses Aufgreifen von
Verantwortlichkeit ist das gerade Gegenteil davon, die
Objektivität dessen zu ermitteln, wo die trostlosen sozialen
Phänomene herkommen, welche mächtigen politischen oder andere
Subjekte daran wie beteiligt sind, sondern man schiebe von sich
weg, sich das Verkehrte und Gemeine zugleich zu eigen zu machen,
Not und Elend auf sich als helfende Hand zu beziehen, die
für sich gänzlich ohnmächtiger Teil der Masse der dem Kommando der
Staats- und Wirtschaftsmächtigen Unterstehenden sind und selber
Nöte in vielfältigen Formen durchzustehen haben, für die es
allenfalls zu einer einmaligen geringfügigen Spende in der
Fußgängerzone hinreicht.
Die Sozialstaatsenttäuschte mokiert sich über zu wenig Empathie für die Armen und Geschundenen - und erklärt dies zu einer Frage der Informiertheit, wiewohl die Informationsmöglichkeiten über Social Media und "konstruktiven Journalismus" so vielfältig seien wie nie: als ob es nicht ein bisschen vom Standpunkt, der Art Beurteilung abhängt, ob einem und was einem an Flüchtlingen, Obdachlosen, Flaschensammlern stört oder nicht und eben nicht die Besichtigung des Elends als solches der Stachel für wie auch immer gestricktes Dagegensein ist.
Nachdem zuerst die Armen und Schwachen als helfende Hand für Ihresgleichen falsch und zynisch gefordert wurden, kennt die scharfsinnige Analystin doch eine Instanz, die mit den weit verbreiteten sozialen Problemlagen in einen Zusammenhang zu bringen ist, nämlich letztere als "Ergebnis eines unsozialen Staates". Wer allerdings an den "überfordertes Krisenmanagement", Brechen von Versprechen und "kurzfristige Alibilösungen" dingfest macht, der hat gar nicht erst vor die Klärung dessen, wie der Staat in der Herstellung der Nöte verwickelt ist, sondern bespricht diese in Reinwaschung des Staates verharmlosend als Versäumnis desselben, sich ordentlich um die Armen und Elenden zu kümmern.
Es mutet einigermaßen angeberisch an, wenn die Buchschreiberin mit Beruf Sozialarbeiterin behauptet, Sozialarbeit sei Ergebnis des sozialen Scheiterns der Politik, erstere würde sich erst die "wahrhaftige" Bekämpfung von Armut auf ihre Fahnen schreiben. Erstens wird das angebliche Scheitern damit begründet, dass es eine Verteilungsfrage sei, nämlich ob Geld mehr in die Wirtschaft oder Militär gepumpt werden oder man für Arme was übrig habe. Der naheliegende Schluss ist für die Autorin gar erst fällig, dass Armut eine Sache eines gesellschaftlichen Verhältnisses ist, in das es die Leute verschlagen hat. Denn dass Armut daher komme, dass anderweitig die Politik andere Prioritäten setze, wofür Geld eingesetzt werde, ist der Unsinn, dass diese bereits unterstellt, als diese vorher hergestellt sein muss, aber diese geheilt werden solle dadurch, dass statt der Wirtschaft oder Bundeswehr den Armen mehr Geld zugeteilt würde. Dass der Staat darin unsozial sei, dass dieser die Sorgen der Menschen ignoriere, dies seilt sich davon ab, wie der sich tatsächlich zu denen stellt: Armut nämlich als zu betreuenden und damit bleibenden Tatbestand, insofern es von der Autorin absolut nicht erhellen wollende systemische Verweise darauf geben muss, wo die Armut ihren Ursprung hat. - Dass jetzt zweitens die Sozialarbeit sich das vornehme, worin dem Staat Versagen attestiert wird, ist unwahr: es ist gerade eine Einrichtung des Sozialstaates, wie es ihn nun mal gibt, der nämlich Sozialarbeiter, Jugendämter etc. auf die Armen ansetzt, um die von ihm abgesegneten widrigen Lebensumstände so zu administrieren, dass sich die Leute darin bewähren und nicht groß, womöglich ordnungspolitisch auffallen.
Die folgenden paar Hinweise unter "soziale Arbeit als politischer Aufrag" wiederholen den Kardinalfehler dieser Menschenfreundin: gegen die Faktizität, dass Helfen und Mitmenschlichkeit nirgends das Leitende ist, es dies allenfalls als praktische Betätigung moralischer Gewissenswürmer auf der Grundlage fortbestehender Armutstatbestände gibt, will die Autorin stur daran festhalten, dass die helfende Hand das Maßstabsetzende zu sein hat. Sie bemerkt durchaus: "Die Gegebenheiten, in die wir hineingeboren werden, bestimmen unser Leben..." (S. 18) - es geht damit die schlichte Weigerung der Ermittlung dessen einher, welche Umstände warum und wie einen Gegensatz von (kapitalistischen) Reichtum auf der einen Seite und nichts als Armut und Elend auf der anderen Seite begründen.