Nationale Interessen
Verlag Siedler, 2022
Schon der
Buchtitel lässt keine Zweifel aufkommen: hier meldet sich ein
Exponent deutsch-nationaler Politik im Ruhestand zu Wort. Als
Untertan der wuchtigen deutschen Staatsmacht ist man eher
negativ von der betroffen. Dass der Dohnanyi-Schinken zum
Zeitpunkt der Ausarbeitung dieser Rezension sich auf Platz 6
der Spiegel-Bestellerliste tummelte, lässt allerdings nichts
Gutes erahnen, wie nämlich diejenigen, die für
deutsch-europäische Staatsmächtigkeit nach Strich und Faden
benutzt werden, sich gleichwohl auf die Ebene der hohen
Politik begeben und dem eigentlich herrschaftlichen Bedürfnis,
wie sich Deutschland national und international schlägt,
offenbar viel abgewinnen können, nämlich von denen
eingenommenen patriotischen Sorgestandpunkt um die Stellung
Deutschlands vor allem europa- und weltweit aus– den der
Polit-Profi D. kräftig bedient.
„Für unser Land“ stünde „Sicherheit im Vordergrund“ – und so
selbstverständlich wie nichts, setzt sich der einstige
Polit-Macher sogleich ins Verhältnis zu dem ganzen staatlichen
Umfeld seiner Nation. Verharmlosend kommt es allerdings daher,
bei dem ginge es darum, andere nationale Interessen „zu
verstehen“: dem Orientierer für deutsche und europäische
Politik“ dürfte geläufig sein, wie das globale
Interessengeflecht von Nationen nichts als Kollisionen wegen
der gegensätzlichen Benutzungsinteressen aneinander
beinhalten. Wie man da als hiesiger Staat besteht und sich
durchsetzt gegen Seinesgleichen ist da der harte Kern des
internationalen Politikbetriebs – sodass nicht von ungefähr
als einer der zentralen Gesichtspunkte der Bewährung darin von
D. die „äußere Sicherheit“, sprich: militärische Sicherheit,
ins Spiel gebracht wird. Zu der analytischen Scharfsinnigkeit
versteigt sich der Angehörige der Politikerklasse so nicht:
immerzu wegen der laufenden Anrichtung von Schaden bei anderen
Nationen im Zuge von deren Zurichtung für deutschen nationalen
und nationalökonomischen Gewinn auf den Ernstfall der
Behauptung auf militärischem Wege gegen den Schädiger in
Sachen elementarer nationaler Belange gewappnet sein.
Der D. weiß um die deutsche Durchsetzungsmacht ganz anderen
Kalibers im Rahmen des europäischen Bündnisses EU: hier
bemerkt der manche Eigensinnigkeiten mancher Mitgliedstaaten;
woher die rühren, vielleicht daher, dass derem nationalen
Vorankommen durch konkurrenztüchtigere andere Mitglieder ein
Strich durch die Rechnung gemacht wird, interessiert
mitnichten; K. v. D. wittert da als erstes „Gefährdung des
europäischen Zusammenhalts“; den braucht es als
Wiederherstellung von „Geschlossenheit“. Und weshalb wohl? Wer
fehlende Souveränität Europas geißelt, der bemängelt, am
Gängelband der übermächtigen USA zu hängen – also stehe die
Emanzipation von globalen Vorgaben der USA an: am Beispiel
Chinas macht D. deutlich, dass die amerikanische
Feindschaftsansage gegen einen aufstrebenden weltpolitischen
Konkurrenten Deutschland/EU nicht so recht zupass kommt;
nämlich in einem befürchteten „Krieg um Asien“ als Europa in
von den Amis geforderter unterwürfiger Linientreue dafür
verheizt zu werden. Wenn dann auch noch China und die andere
östliche Großmacht Russland sich zu Alliierten zusammenfinden,
die beide auf der amerikanischen Abschussliste stehen, weil
die nach Ami-Geschmack viel zu mächtig nach eigenen Rechnungen
ihren Erfolg in der im wesentlichen US-bestimmten Weltordnung
gegen die Supermacht suchen, liegt für D. glasklar auf der
Hand, dass Europa nicht länger oder jedenfalls nicht ohne
Weiteres den globalen Kampfansagen der Amis aufsitzen dürfe,
wenn dabei deutsch-europäisches Interesse auf dem Spiel steht.
Also ist die einzig senkrechte genuin imperialistische
Konsequenz: mehr europäische Bestimmungsmacht aus den
Hauptstädten der Union tue not, um selber abseits der
US-beanspruchten Richtlinienkompetenz und gegen dieselbe
eigene Akzente im globalen „Wettstreit“ der Nationen zu
setzen.
Die Befürchtung, dass den Europäern im Schlepptau der USA ihr
weltpolitisches Gewicht verleidet würde, hat sich im
Handumdrehen erledigt, seit die Russen die „europäische
Sicherheitsarchitektur“, sprich die Unterordnung Russlands
unter EU-definierte Ordnungsgrundsätze, mit ihrem Einfall in
die Ukraine durchkreuzt haben. An vorderster Front machen sie
den Scharfmacher, die Eröffnung regelrecht kriegstreibender
Offensiven gegen den unverfänglich als Feind des
„Friedensprojekts Europa“ einsortierten Russland – was sich
nun „Zeitenwende“ schimpft, nämlich das endgültige Aus
diplomatischer Eingemeindungspolitik, der Funktionalisierung
Russlands für die weltmächtigen Interessen Westeuropas incl.
der eingemeindeten Oststaaten – denn der russische Revisor
dessen, was EU, USA und Nato als freiwillige russische
Kapitulation per militärischer Einschnürung des Putin-Reichs
vorhatten, verstehe nur noch die direkte Konfrontation per
Wirtschaftskrieg und Mobilisierung für den heißen Krieg. – Was
soll da also die Warnung des D., dass die Zuordnung der
Ukraine zum Nato-Regime „gefährlich“ sein könne: in Kenntnis
dessen, dass Moskau im Falle eines wichtigen strategischen
Vorfelds kein Parton kenne und sein so definiertes
„Sicherheitsinteresse“ als „rote Linie“ zeichnet, deren
Überschreitung den Übergang zum Waffengang bedeutet, haben
Westler unablässig drauf bestanden, dass in Sachen
militärischer Einkreisung kein Deut zurückgenommen, diese
forciert gehöre. Irgendwelche diplomatische Rücksichtnahmen
auf russische Sicherheitsbelange im Rahmen der europäischen
Spezialität einer „strategischen Partnerschaft“ mit Moskau
sind definitiv Schnee von gestern – dem nachzutrauern schon
deswegen Ausweis von einer Portion Heuchelei ist, weil die
seinerzeit anvisierte Partnerschaft auf nichts anderes aus
war, als Russland ziemlich einseitig zur Dienerschaft an
europäischen Machtinteressen einzuspannen (durchaus auch im
Hinblick auf die Emanzipation von der globalen Übermacht der
Amis, allerdings jetzt der enge Schulterschluss mit denen
gefragt ist, wo es um die Erledigung einer
atomwaffenbestückten Großmacht geht; hinterher mag das
Gerangele um die weltpolitische Führerschaft wiederum seinen
Gang gehen).