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Felix Jaitner

RUSSLAND: Ende einer Weltmacht

VSA-Verlag, 2023


"Unter dem Stichwort Lokalisierung bemüht sich die russische Regierung zudem um eine Verlagerung von industrieller Produktion nach Russland. Dazu setzt sie einerseits auf eine Radikalisierung der kapitalistischen Standortkonkurrenz, indem Investoren Steuervorteile geboten sowie der Arbeitnehmer*innenschutz schwach und das Lohnniveau niedrig gehalten werden. Andererseits verabschiedete die Putin-Administration im Juli 2017 ein nationales Projekt mit dem Titel internationale Kooperation und Export. Demnach sollten ausgewahlte Branchen wie etwa der zivile Maschinenbau, Metallverarbeitung, Chemie, Pharmazeutik, Holzverarbeitung und Landwirtschaft durch staatliche Subventionen und Kredite gefördert und weltmarktfähig gemacht werden, um der starken Konzentration auf den Rohstoffexport entgegenzusteuern. Dieses Vorhaben wurde in den sogenannten Mai-Dekreten bestätigt, welche die wirtschaftspolitische Agenda von Putins vierter Amtszeit (2018–2024) bestimmten. Insbesondere für die produktiven Sektoren und die Landwirtschaft bekräftigte die Regierung ihr Ziel, die Entwicklung exportorientierter Unternehmen zu unterstützen."

Es ist schon eine eigenartige Logik betreffend der inneren, sozio-ökonomischen Entwicklung Russlands: die einseitige Exportorientierung bei Roffstoffen zurückfahren zugunsten stärkerer Konzentration auf die produktiven Sektoren und Landwirtschaft und deren Exportfähigkeit zu unterstützen. Zunächst einmal hat der russische Staat entdeckt, mit welcher Sorte Ressource er reüssieren konnte mit der Entscheidung, sich dem kapitalistischen Weltmarkt zuzuwenden, was erst mal für sich die Kritik einschließen müsste, Land und Leute der nationalen und internationalen Geschäftemacherei auszusetzten, um schließlich der Nation mit den auf dem globalen Markt zu verdienenden Weltgeldern eine Quelle für deren Macht und Herrlicheit zu verschaffen – wofür insbesondere die massehafte Verwandlung des menschenlichen Staatenmaterials in freie Lohnarbeiter eine entscheidende Rolle spielt. – Andererseits: wie passt das Gegensteuern gegen „starke Konzentration auf den Rohstoffexport“ damit zusammen, dass zugleich die „Exportpalette“ mit vermehrter Ausbeutung fossiler Energieträger erweitert worden sein soll:

"Im Mittelpunkt der Modernisierungsbestrebungen des extraktivistischen Entwicklungsmodells stand eine Erweiterung der Exportpalette. Durch die Erschliesung neuer fossiler Lagerstatten in ökologisch sensiblen Gebieten wie der Arktis und Ostsibirien sollte Russlands Rolle als ≫Energiesupermacht≪ und damit der wirtschaftliche und geopolitische Einfluss gestärkt werden..."

Dass die russische Elite sodann die produktiven Sektoren als Mittel zum Aufschwingen zu einer potenteren Wirtschaftsnation neu einsortiert, mag als Programm eines Staates geläufig sein, vor allem aber kritikwürdig zu sein, sich den Konkurrenzerfordernissen des weltweiten Geldakkumlationsregimes zu stellen und das abhängige Volk dafür einzuspannen. Der politische Verwalter des russischen Kapitalismus versucht halt beides: heimisches Rohstoffaufkommen-Lagerstätten von Fossilem und industrielle Sektoren und auch noch den agro-industriellen Bereich zum Mittel einer geldlichen Überschusserwirtschaftung zu machen, wo er allerdings auf unterschiedliche Erfolgsbedingungen v.a. im weltweiten Maßstabe stößt, denn dem russischen Programm der internen und äußeren Geschäftstüchtigkeit steht die Konkurrenzmacht etablierter wirtschaftsimperialistischer Mächte gegenüber. Insofern ist es auch weniger interessant, wenn überhaupt von Bedeutung, das wirtschaftsimperialistische Anliegen Russlands als Kampf verschiedener politischer Linien zu verorten:

"...Im Mittelpunkt der Analyse stehen idealtypisch zwei konkurrierende Fraktionen: Die starker binnenorientierte national-kapitalistische Entwicklungsstrategie, die im Zuge einer umfassenden Re-Industrialisierung auf die Förderung der produzierenden Sektoren setzt, und ein erneuerter Ressourcenextraktivismus, der durch eine Modernisierung der technologischen Basis und die partielle Integration angrenzender Industriezweige die russische Rolle als globaler Rohstofflieferant zu stärken versucht. Das Ziel der vorliegenden Analyse ist es, die Position der beiden Fraktionen im Machtblock politisch und ökonomisch zu verorten und davon ausgehend die sich verschiebenden Kräfteverhältnisse zu analysieren..."

Eine weitere zentrale Ungereimtheit lieg in dem, die außenpolitischen Manöver der Russischen Föderation in falscher soziologischer Manier als Ausdruck „innerer Widersprüche“ der russischen Nation zu behaupten, also zu leugnen, dass Konfrontationen auf zwischenstaatlicher Ebene sich aus dem erklären, welche Interessen weltpolitischer Art sich wie in die Quere kommen – stattdessen wird ein unsinniger Zusammenhang in die Welt gesetzt, interne Gegensätze nach außen zu wenden, so als ob ein „aggressiver“ Kurs gegen andere Souveräne das Heilmittel gegen innere Kollisionen der Nation wäre, die beide jeweils ganz eigenen Gründen folgen:

„...Eine sozioökonomische Analyse Russlands ermöglicht ein tiefer Gehendes Verständnis der sich verschärfenden geopolitischen Konfrontation, da sie die zunehmend aggressive Ausenpolitik des Landes aus den inneren Widersprüchen und Konflikten heraus erklärt...“

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Alle Zitate aus:
Felix Jaitner, RUSSLAND: Ende einer Weltmacht, VSA-Verlag, 2023