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B u c h - R e z e n s i o n  zu:

 

Harald Welzer

Zeitenende

Verlag Fischer, 2023

 
Welzer beherrscht es, einerseits der Politik völlig sachfremde Gesichtspunkte zu entnehmen:

„... Die Leute sehen den Unernst der politischen Klasse in Bezug auf die realen...Probleme, ihre obsessive Beschäftigung mit sich selbst und die zu große Entfernung den Eliten von der Mehrheitsbevölkerung...“

„Unernst“, „Beschäftigung mit sich selbst“ und „Entfernung der Eliten“ von ihrem Volk sind schon schräge Kennzeichnungen angesichts dessen, was die Politik tatsächlich laufend an neuen Zumutungen fürs gewöhnliche Volk und Umsorgungen der ökonomischen Eliten und ihrer Geschäftemachereien gesetzgeberisch auf den Weg bringt. Was da als „reale Probleme“ gefasst wird, lebt erst mal von einer unkritischen Stellung zu der staatlichen Betreuung eines kapitalistischen Standorts: dies als Problem zu wälzen, erkundigt sich danach, ob die Politik sich auf das darauf bezogene Handwerkszeug versteht. Also: mit der Benutzung der Leute für Kapitalwachstum und Machtzuwachs der Nation, der damit einhergehenden Verarmung der Benutzten, mit der hoheitlichen Päppelung der geschäftstüchtigen Geldsäcke der Nation könne es im Grundsatz so weitergehen, wenn die politische Klasse nur mit den nötigen Ernst dabei zu Werke ginge. Das mit der „Selbstbeschäftigung“ der Politik steht ein wenig im Widerspruch dazu, dass die Politik zwar mit „realen Problemen“ befasst sei, aber diese nicht seriös genug oder angemessen angehe. – Und was soll das mit der „Entfernung der Eliten“ vom Volk: Politik ist doch nicht ein auf Erfüllung eines Wunschprogramms der Bevölkerung zielendes Geschäft: es geht auf nichts als die Verpflichtung des eigentumslosen Volkes auf die Vermehrung fremden Geldreichtums, auf die Benutzung der Leute als Manövriermasse ihres Staates, nicht zuletzt in Bezug auf dessen ausgreifende imperialistische Ambitionen, für die Konkurrenz ihrer Nation um Macht und Reichtum weltweit.

„...Politik ist vorausschauende Gestaltung, sie darf die Dinge nicht permanent so lange schleifen lassen, bis absehbare Desaster nicht mehr zu verhindern sind...“

Hieraus spricht das Ideal des strammen erfolgswirksamen Durchmarsches der Politik, die also vorausschauend sämtliche Hindernisse für den nationalen Erfolg mit der nötigen Rücksichtslosigkeit nach innen und betreffend auswärtige staatliche Konkurrenten aus dem Weg räumt. Aus aktuellem Anlass: Was soll denn in Sachen westlicherseits angezetteltem Wirtschaftskrieg das „Desaster“ sein, das die Politik versäumte zu vermeiden. Über solche Allgemeinplätze des Welzers greift einiges an Verdrehungen, nämlich das, was die Herrschenden im Gefolge der knallhart beabsichtigten ökonomischen Schädigung Russlands kalkulierend als interne Kollateralschäden in Gestalt von Inflation in Kauf genommen haben als drohendes Desaster so zu besprechen, dass der ökonomische Feldzug gegen Russland gelingen möge unter Vermeidung der negativen Wirkungen, die sich nun mal gar nicht verhindert lassen, wenn das Eingehen einer geschäftlichen Abhängigkeit wegen unschlagbar billigen Gases gekappt werden soll, darüber notwendig eine Verknappung auf dem Energiemarkt provoziert wird und dies nach marktwirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten preistreibend von den Anbietern jenseits von Russland ausgenutzt wird.

Andererseits sieht der Autor ausgerechnet in von der zentralen Staatsräson der Bewirtschaftung der nationalen Geldmacherei abgeleitete oder so zugeordnete Politikbereiche, die im Verhältnis zu ersterer den Charakter der Herstellung von Voraussetzungen für dieselbe haben, das Gemeinwesen entscheidend am Verlottern. Wenn fehlender Schulunterricht, die Schließung von Krankenhäusern beklagt wird, dann legt dies gemäß unbefangener Sicht auf solche Phänomene die Überlegung nahe, wozu ein Bildungs- oder Gesundheitswesen gut ist und wie die staatliche Gewichtung derselben aussieht: ein Bildungswesen soll den Nachschub von Arbeitskräften für die verschiedensten Funktionen liefern (in der Mehrzahl Lohnarbeiter für die Werkbänke von kapitalistischer Industrie und Handwerk sowie für die Zirkulationsgewerbe und Nachwuchskräfte für Leitungs- oder Herrschaftsfunktionen in der Wirtschaft, für den Staat und dessen Verwaltungsabteilungen, nicht zuletzt Nachschub für die Ordnungsmacht (Polizei) und das Gerichtswesen, damit das Verhältnis von Herrschaft und Beherrschten seinen ordentlichen Gang geht). Ein Krankenhauswesen hält der Staat für unerlässlich als Reparaturanstalten v.a. für die im Dienst am Kapital verschleißende Gesundheit von Lohnarbeitern. – So notwendig der Staat beides für das Laufen seines nationalen Kapitalstandorts befindet, er Kalkuliert dabei zugleich die Kostenträchtigkeit derselben, deren Begrenzung als nicht unmittelbar dem Kapitalwachstum dienlicher Posten dann die Vorlagen liefert für das Beklagen der Vernachlässigung von Bildung und Krankenhauswesen – wo für den Staat beides seinen Stellenwert hat, aber eben möglichst kostengünstig zu betreiben seien.

Welzer ist sich nicht zu schade, die Propaganda des „Maßhaltens“, des Konsumverzichts aus dem Nachkriegsdeutschland Ludwig Erhards positiv zu würdigen, die dumme volkswirtschaftliche Weisheit, die auch heutzutage immer mal wieder aufgewärmt wird, dass nicht mehr verzehrt werden könne als an Werten geschaffen werde: als ob bei denjenigen, die massenhaft aufgrund ihrer Eigentumslosigkeit vom gesellschaftlichen Reichtum getrennt sind, die „Steigerung von Konsummöglichkeiten“ so gut wie identisch sei mit dem Zugriff aufs „Güterwachstum“ und das eigentlich Trennende die Begrenztheit des Güterhaufens sei. Schon mal davon gehört, dass Konsum im Kapitalismus eine Frage des Geldes ist, das man hat und vor allem erst mal verdienen muss? Deswegen sind Maßhalteappelle die Begleitmusik dazu, wie die Leute praktisch seitens Staat und Kapital verarmt werden, nicht eine Sache des Willens zur Einsicht in Konsumverzicht ist.