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Wolfgang Kubicki

Die erdrückte Freiheit

Wie ein Virus unseren Rechtsstaat aushebelt

Verlag Westend 2021


Wenn Kubicki im Zuge einer epidemischen Lage „nationaler Tragweite“, also eine flächendeckende Krisensituation durch einen erst mal nicht zu kontrollierenden Virusbefall die unbedingte Wahrung der „Freiheitsrechte“ hochhält, so stellt er den letzteren ein Zeugnis aus, dass die nicht verdienen: Es kommt nicht verdächtig vor, dass die willentliche Betätigung nicht für sich zählt, sondern als Akt der Erlaubnis daherkommt, also einen Erlaubnisvorbehalt einschließt, unter welchen Kautelen man was darf oder nicht; das dieses hübsche Gemeinwesen durch allerlei heftige Gegensätze sich auszeichnet, deswegen gleich dazu gesagt wird, dass das Recht des einen nicht gegen das des anderen gestellt sein darf, daraus folgt für dem Freiheitsliebhaber nicht etwa, am Wert der Freiheit Zweifel anzumelden – wenn nämlich hierzulande allerlei gegensätzliche Interessen unterwegs sind, die vom Staat dann ihre jeweilige Domestizierung verordnet kriegen müssen so, dass der Gegensatz von ökonomischen Ausnutzern und Ausgenutzten „gemeinwohlverträglich“ ausgetragen wird. Oder so: was der Freidemokrat aus dem Grundgesetz zitierend als „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ als zentralen Verfassungsgrundsatz abfeiert, so gibt dieser schöner Grundsatz in dieser Abstraktheit nichts her: es kommt schon ein wenig auf die materiellen Mittel, überhaupt auf die gesellschaftlichen Umstände an, was sich da wie entfalten kann: die Masse der einfachen Bürger ist längst darauf festgelegt, sich nach der Decke zu strecken, nämlich davon abhängig, ob, wie und mit welchem materiellen Ergebnis die Verfüger über die gesellschaftlichen Produktionsmittel den Massen der Eigentumslosen einen Lebensunterhalt verdienen lassen. Inhalt der Freiheit ist folglich für die meisten der Zwang, sich fremden Interessen, denen der Kapitaleigentümer anzudienen; umgekehrt für letztere das Recht, in Konkurrenz zu Ihresgleichen aus der lohnarbeitenden Arbeitskraft den Kapitalreichtum auszusaugen.

Dass der Freiheitsanbeter erst in einer Pandemie entdeckt, dass die Exekutive die Freiheitsrechte zu ihrer „Verfügungsmasse“ erkläre, blamiert sich daran, dass das ganze Grundgesetz ein einziger staatlicher Akt der Gewährung dessen ist, was man dürfe und was nicht. Und dass die die Verfassung einfach so in ihr „Belieben“ stelle, lügt sich ebenso einiges in die Tasche: die schönen Freiheiten wurden allenfalls zeitweilig und teilweise sistiert, weil das lebhafte freiheitliche Treiben auf dem deutschen Kapitalstandort dem entgegenstand, eine Virusausbreitung in den Griff zu kriegen, die nämlich sehr elementar die Grundlagen, nämlich v.a. das personelle Benutzungsmaterial der seitens Kubicki so geliebten freien Marktwirtschaft zu unterminieren droht: die Einschränkung der Freiheiten um der Rettung ihres kapitalistischen und damit nationalen Nutzens wegen, diese „Dialektik“ kommt dem Wächter über die Verfassung nicht in den Sinn.

K. unterschlägt auch, dass den Pandemiebekämpfern der Exekutive sehr wohl geläufig ist/war, dass die auch nur vorübergehenden und partiellen Grundrechtseinschränkungen als „notwendig“ und „verhältnismäßig“ begründend einzustufen seien, um einer Pandemie Herr zu werden – was nicht heißt, dass sich immer ein Gericht findet, das Ausmaß und Schwere der hoheitlichen Eingriffe als nicht oder ungenügend gerechtfertigt ansieht.

Im Übrigen steht auch quer zu dem, was der K. als Gefahr für die Grundrechte an die Wand malt, dass der selbst durchaus Gesichtspunkte kennt, unter denen es legitim sei, dass in sie eingegriffen werden könne:

„Ein gefährlicher Unwille war erkennbar, ...ausreichende Begründungen für Grundrechtseingriffe zu geben...“
(https://www.westendverlag.de/kommentare/der-gefaehrliche-exekutive-unwillen/)

Mit solchen Sätzen wie:

„Besonders besorgniserregend war für mich, dass Vertreter der Regierungsseite plötzlich eine Begründungsumkehr bei Freiheitsrechten betrieben. Eigentlich sieht unsere Verfassung vor, dass Beschränkungen der Grundrechte einer Rechtfertigung bedürfen. Demokraten haben die verfassungsmäßige Aufgabe, für das größtmögliche Maß an Freiheit zu kämpfen. Nun aber sollten sich Bürgerinnen und Bürger plötzlich rechtfertigen, wenn sie ihre Freiheitsrechte wahrnehmen wollten“ (ebd.)

- wird einfach beiseite geschoben, dass es sich bei einer staatlich festgestellten Epidemie nationalen Ausmaßes um eine Sorte Notstand handelt, bei dem auch einem gestandenen Politiker und Rechtsexperten nicht unbekannt sein dürfte, dass zur Bewältigung einer solchen hoheitlich eingestuften nationalen Notlage etwas andere Regeln greifen, sinnfällig eigens in einem Infektionsschutzgesetz, um die unter Kontrolle zu kriegen, daher die üblichen bürgerlichen Verkehrsformen durchaus quer zur Bewältigung eines Notstandes stehen. Deswegen ist es schlicht Unfug, wenn K. einerseits eingesteht, dass Beschränkungen der Grundrechte sein dürfen, wenn sie gerechtfertigt seien, andererseits dagegen stellt, es liege eine Umkehr der Beweislast vor, wenn die Bürger Freiheitsrechte wahrnehmen wollten: die Pandemiebekämpfer haben doch mit der Verfügung, dass welche Bewegungen auf dem Standort in welchem Umfang begrenzt werden sollen gleich die Gründe für die Ausnahmen davon mitgeliefert: und so die Benennung des Vorliegens solcher Ausnahmen und damit die ausnahmsweise Betätigung irgendeines Freiheitsaktes den einzelnen zuerkannt. Dass hier eine wer weiß wie Verschiebung in den Rechtsgrundsätzen stattfände, von wegen „Beweislastumkehr“, sieht einfach davon ab, dass die so gelobhudelte Demokratie unter den Bedingungen eines Notstands gestellt ist, also die infektionspolitischen Maßgaben ausdrücklich vorübergehender Natur sind, und substantieller Eingriff in die schöne freiheitliche Verfassung gar nicht beabsichtigt ist. Das Beispiel: Verlassen des Hauses ohne Ziel zu untersagen, aber Einkaufen gehen erlaubt, was nach K. einer richterlichen Überprüfung nicht standgehalten habe, bezeugt das Gegenteil dessen, was der Rechtskundige daraus macht: hier sucht der Infektionsbewältiger gerade die Eindämmung des Virusbefalls durch eine Maßnahme zu verbinden mit einer freiheitlichen Kontinuität in einem anderen Bereich: einfach so nach draußen gehen und sich womöglich versammeln, soll Riegel vorgeschoben werden, um so wenigstens partiell die Ansteckungsrate im Zaum zu halten; mit der Erlaubnis des Einkaufens soll andererseits gerade ein Stück Notwendigkeit der bürgerlichen Alltagserledigung Rechnung getragen werden, auch wenn Ansteckungen sich nicht verhindern lassen; aber das selektiv Infektionspolitische ist gerade Ausweis davon, wie der Staat beides, das seuchenpolitisch Nötige und die Erfordernisse eines kapitalistischen Standorts, wozu im Übrigen in weit wichtiger Hinsicht als das Einkaufen der Weiterbetrieb der Reichtumsschmieden der Nation ist, Hand in Hand gehen zu lassen.