Die erdrückte Freiheit
Wie ein Virus unseren Rechtsstaat aushebelt
Verlag Westend 2021
Wenn Kubicki im Zuge einer epidemischen Lage „nationaler Tragweite“, also eine flächendeckende Krisensituation durch einen erst mal nicht zu kontrollierenden Virusbefall die unbedingte Wahrung der „Freiheitsrechte“ hochhält, so stellt er den letzteren ein Zeugnis aus, dass die nicht verdienen: Es kommt nicht verdächtig vor, dass die willentliche Betätigung nicht für sich zählt, sondern als Akt der Erlaubnis daherkommt, also einen Erlaubnisvorbehalt einschließt, unter welchen Kautelen man was darf oder nicht; das dieses hübsche Gemeinwesen durch allerlei heftige Gegensätze sich auszeichnet, deswegen gleich dazu gesagt wird, dass das Recht des einen nicht gegen das des anderen gestellt sein darf, daraus folgt für dem Freiheitsliebhaber nicht etwa, am Wert der Freiheit Zweifel anzumelden – wenn nämlich hierzulande allerlei gegensätzliche Interessen unterwegs sind, die vom Staat dann ihre jeweilige Domestizierung verordnet kriegen müssen so, dass der Gegensatz von ökonomischen Ausnutzern und Ausgenutzten „gemeinwohlverträglich“ ausgetragen wird. Oder so: was der Freidemokrat aus dem Grundgesetz zitierend als „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ als zentralen Verfassungsgrundsatz abfeiert, so gibt dieser schöner Grundsatz in dieser Abstraktheit nichts her: es kommt schon ein wenig auf die materiellen Mittel, überhaupt auf die gesellschaftlichen Umstände an, was sich da wie entfalten kann: die Masse der einfachen Bürger ist längst darauf festgelegt, sich nach der Decke zu strecken, nämlich davon abhängig, ob, wie und mit welchem materiellen Ergebnis die Verfüger über die gesellschaftlichen Produktionsmittel den Massen der Eigentumslosen einen Lebensunterhalt verdienen lassen. Inhalt der Freiheit ist folglich für die meisten der Zwang, sich fremden Interessen, denen der Kapitaleigentümer anzudienen; umgekehrt für letztere das Recht, in Konkurrenz zu Ihresgleichen aus der lohnarbeitenden Arbeitskraft den Kapitalreichtum auszusaugen.
Dass der Freiheitsanbeter erst in einer Pandemie entdeckt, dass die Exekutive die Freiheitsrechte zu ihrer „Verfügungsmasse“ erkläre, blamiert sich daran, dass das ganze Grundgesetz ein einziger staatlicher Akt der Gewährung dessen ist, was man dürfe und was nicht. Und dass die die Verfassung einfach so in ihr „Belieben“ stelle, lügt sich ebenso einiges in die Tasche: die schönen Freiheiten wurden allenfalls zeitweilig und teilweise sistiert, weil das lebhafte freiheitliche Treiben auf dem deutschen Kapitalstandort dem entgegenstand, eine Virusausbreitung in den Griff zu kriegen, die nämlich sehr elementar die Grundlagen, nämlich v.a. das personelle Benutzungsmaterial der seitens Kubicki so geliebten freien Marktwirtschaft zu unterminieren droht: die Einschränkung der Freiheiten um der Rettung ihres kapitalistischen und damit nationalen Nutzens wegen, diese „Dialektik“ kommt dem Wächter über die Verfassung nicht in den Sinn.
K. unterschlägt auch, dass den Pandemiebekämpfern der Exekutive sehr wohl geläufig ist/war, dass die auch nur vorübergehenden und partiellen Grundrechtseinschränkungen als „notwendig“ und „verhältnismäßig“ begründend einzustufen seien, um einer Pandemie Herr zu werden – was nicht heißt, dass sich immer ein Gericht findet, das Ausmaß und Schwere der hoheitlichen Eingriffe als nicht oder ungenügend gerechtfertigt ansieht.
Im Übrigen steht auch quer zu dem, was der K. als Gefahr für die Grundrechte an die Wand malt, dass der selbst durchaus Gesichtspunkte kennt, unter denen es legitim sei, dass in sie eingegriffen werden könne:
„Ein
gefährlicher Unwille war erkennbar, ...ausreichende
Begründungen für Grundrechtseingriffe zu geben...“
(https://www.westendverlag.de/kommentare/der-gefaehrliche-exekutive-unwillen/)
Mit solchen Sätzen wie:
„Besonders besorgniserregend war für mich, dass
Vertreter der Regierungsseite plötzlich eine
Begründungsumkehr bei Freiheitsrechten betrieben. Eigentlich
sieht unsere Verfassung vor, dass Beschränkungen der
Grundrechte einer Rechtfertigung bedürfen. Demokraten haben
die verfassungsmäßige Aufgabe, für das größtmögliche Maß an
Freiheit zu kämpfen. Nun aber sollten sich Bürgerinnen und
Bürger plötzlich rechtfertigen, wenn sie ihre
Freiheitsrechte wahrnehmen wollten“ (ebd.)
- wird
einfach beiseite geschoben, dass es sich bei einer staatlich
festgestellten Epidemie nationalen Ausmaßes um eine Sorte Notstand handelt, bei
dem auch einem gestandenen Politiker und Rechtsexperten nicht
unbekannt sein dürfte, dass zur Bewältigung einer solchen
hoheitlich eingestuften nationalen Notlage etwas andere Regeln
greifen, sinnfällig eigens in einem Infektionsschutzgesetz, um
die unter Kontrolle zu kriegen, daher die üblichen
bürgerlichen Verkehrsformen durchaus quer zur Bewältigung
eines Notstandes stehen. Deswegen ist es schlicht Unfug, wenn
K. einerseits eingesteht, dass Beschränkungen der Grundrechte
sein dürfen, wenn sie gerechtfertigt seien, andererseits
dagegen stellt, es liege eine Umkehr der Beweislast vor, wenn
die Bürger Freiheitsrechte wahrnehmen wollten: die
Pandemiebekämpfer haben doch mit der Verfügung, dass welche
Bewegungen auf dem Standort in welchem Umfang begrenzt werden
sollen gleich die Gründe für die Ausnahmen davon mitgeliefert:
und so die Benennung des Vorliegens solcher Ausnahmen und
damit die ausnahmsweise Betätigung irgendeines Freiheitsaktes
den einzelnen zuerkannt. Dass hier eine wer weiß wie
Verschiebung in den Rechtsgrundsätzen stattfände, von wegen
„Beweislastumkehr“, sieht einfach davon ab, dass die so
gelobhudelte Demokratie unter den Bedingungen eines Notstands
gestellt ist, also die infektionspolitischen Maßgaben
ausdrücklich vorübergehender Natur sind, und substantieller
Eingriff in die schöne freiheitliche Verfassung gar nicht
beabsichtigt ist. Das Beispiel: Verlassen des Hauses ohne Ziel
zu untersagen, aber Einkaufen gehen erlaubt, was nach K. einer
richterlichen Überprüfung nicht standgehalten habe, bezeugt
das Gegenteil dessen, was der Rechtskundige daraus macht: hier
sucht der Infektionsbewältiger gerade die Eindämmung des
Virusbefalls durch eine Maßnahme zu verbinden mit einer
freiheitlichen Kontinuität in einem anderen Bereich: einfach
so nach draußen gehen und sich womöglich versammeln, soll
Riegel vorgeschoben werden, um so wenigstens partiell die
Ansteckungsrate im Zaum zu halten; mit der Erlaubnis des
Einkaufens soll andererseits gerade ein Stück Notwendigkeit
der bürgerlichen Alltagserledigung Rechnung getragen werden,
auch wenn Ansteckungen sich nicht verhindern lassen; aber das
selektiv Infektionspolitische ist gerade Ausweis davon, wie
der Staat beides, das seuchenpolitisch Nötige und die
Erfordernisse eines kapitalistischen Standorts, wozu im
Übrigen in weit wichtiger Hinsicht als das Einkaufen der
Weiterbetrieb der Reichtumsschmieden der Nation ist, Hand in
Hand gehen zu lassen.