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Hans-Werner Sinn

Der Corona-Schock

Herder Verlag, 2020


„Krisenzeiten sind politisch verführerisch. Finanzielle Begehrlichkeiten lassen sich plötzlich durchsetzen, alte politische Ideen lassen sich als neue Rezepte zur Lösung aktueller Probleme verkaufen, und sachliche oder juristische Bedenken können mit dem Verweis auf die Ausnahmesituation der Krise übergangen werden. Der wahre Souverän hält sich in normalen Zeiten vornehm zurück, doch in der Krise trumpft er unmissverständlich auf und zeigt, wer das Sagen hat.

Krisenzeiten bieten aber auch politische Chancen. Kostspielige und wenig effektive staatliche Maßnahmen lassen sich beenden, Fehler können eingestanden und Fehlentwicklungen abgestellt werden, Sachargumente und Pragmatismus können gegenüber dem Wunschdenken punkten.

Deutschland und Europa haben jetzt die Wahl, ob sie, dem Druck des Augenblicks nachgebend, die alten Fehler reflexhaft wiederholen möchten oder nicht. Vielleicht ist Corona eine Chance, tatsächlich existierende Strukturprobleme zu erkennen und entsprechend zu behandeln und auch zu erkennen, welch einen Unsinn wir teilweise gemacht haben. Das betrifft beispielsweise die brandgefährliche Vergemeinschaftung von Schulden im Euroraum oder die weitgehend wirkungslose, aber teure Klimapolitik der Bundesregierung. Das betrifft die Zerstörung des Rückgrats der deutschen Wirtschaft, der Automobilindustrie, oder den bisher eher laxen Umgang mit drohenden Risiken wie einer weiteren Pandemie. Politik und Gesellschaft können die Corona-Krise nutzen, um diese Fehler endlich klar zu benennen und statt politischen Wunschdenkens ökonomischen Realismus einziehen zu lassen, damit Solidarität, Wohlstand und Friede in Deutschland und Europa dauerhaft erhalten bleiben.“

Nicht was die volksgesundheitliche Krise und in deren Gefolge die ökonomische Krise auszeichnet, ist der Auftakt für Sinn’sche Überlegungen, sondern diese folgen dem Standpunkt einer Lehrmeisterei auf der Grundlage des unzweifelhaften Dafürseins, nämlich für die marktwirtschaftliche Verfasstheit Deutschlands und Europas. Davon ausgehend kennt der prominente Herr Professor nur einen bornierten Gesichtspunkt: machen die politischen Verwalter des Kapitalismus national, europaweit und global die Sache gut, nämlich Geld- und Schuldenbewirtschaftung in Sinne Sinn’scher Erfolgsmaßstäbe.

An „kostspieligen und wenig effektiven staatlichen Maßnahmen“ interessieren nicht ihr Grund und Zweck, sondern sind von vornherein bezogen darauf, dass Geld- und Schuldenwirtschaft gelingen mögen, die für einen Marktwirtschaftsanbeter jeder Kritik ihrer selbst entzogen sind: Schulden und Kredit sind nicht eine einzige Erörterung wert, welche finanzkapitalistische absurde Errungenschaft als Hebel kapitalistischer Reichtumsakkumulation und Staatsmacherei da anzutreffen ist: das Nicht-Haben von Geld, Geld aus fremder Hand soll wie eigenes Geschäftsmittel seine Vermehrungsmacht entfalten. Stattdessen treibt den Wirtschaftsexperten um, ob das ganze kreditunterfütterte Spekulationswesen auf für sich maßlose Geldheckerei und der Einsatz von staatlichen Leihgaben als Mittel der Konkurrenz zwischen Kapitalstandorten bzw. deren wirtschaftspolitische Pflege dafür dem volkwirtschaftlichen Ideal irgendwelcher Stabilitätsgebote gehorchen – welches nichts als die ideologische Begleitmusik dazu ist, dass zu jedem Aufschwung von Geld, Kreditengagement, Kapital, Geschäftemacherei darin und damit der krisenhafte Einbruch dazugehört. So ist es ein Witz, wenn der Sinn die ungehemmte Verschuldung auf Basis niedriger Zinsen am Beispiel aus der Zeit eines gewissen Hamilton in den USA und die darüber angeblich ausgelöste Finanz-„Blase“ damit kontert, wie die Finanziers normalerweise mit der Verteuerung und Entzug von Krediten selbst die längst eingetretene Überakkumulation von Bereicherungsansprüchen bestätigen und regelrecht durchsetzen:

„...Die normale Schuldenbremse, die aus dem Umstand resultiert, dass die Gläubiger aus Angst vor dem Verlust ihrer Forderungen immer höhere Zinsen verlangen, wenn die Schuldner sich nicht mäßigen wollen, und die Schuldner deshalb die Verschuldung immer unattraktiver finden, war außer Kraft gesetzt...“

So zeugt der erhobene Zeigefinger, vor Vergemeinschaftung von Schulden im Euroraum als „finanzielle Begehrlichkeit“ und „Auftrumpfen des Souveräns“ in „Ausnahmesituation der Krise“ zu warnen, also als solider Schuldenbewirtschafter sich zurückzuhalten, weil man sich ansonsten übernehmen könnte, von wenig Ahnung, was für imperialistische Ambitionen sich die Euros mit Corona-Hilfen und Wiederaufbaufonds auf ihre Fahnen geschrieben haben: aus der tiefsten Krise seit Jahrzehnten einen Quantensprung aus ihr heraus verfertigen – gegen wen anderen wohl als dem Rest der Weltwirtschaft – und dabei sehr selbstsicher mal vergessen, ob und wie  sich die immensen neuen Kreditmassen wirtschaftswachstumsmäßig z. Zt. rechtfertigen: gegen die anderen Weltwirtschaftskonkurrenten, auf deren Kosten eine Konkurrenzoffensive mit den Hebeln modernster neuer Technologien bestehen, ist das Programm. Und dafür greifen auch einige Neuerungen im Innenverhältnis der Euros Platz: ein wenig Abstand nehmen davon, dass wie sonst die EUler für die Konsequenzen ihrer Verschuldung in nationaler Verantwortung aufzukommen haben, in zunächst einmaliger Weise ihren Aufbaufonds so mit Kreditmitteln speisen, dass es nicht zu Lasten der nationalen Schuldenquoten geht (wo einige schon am Rande der Belastbarkeit mit weiteren Schulden sind); umfangreichere Zuschüsse für die am meisten Corona-Geplagten wie Spanien und Italien gehen, um diesen als Bereicherungssphären fürs europaweit agierende Kapital die nötige Pflege zuteil werden zu lassen.

Vor lauter falschen Entgegensetzungen und Analogien fällt dem schlauen Professor angesichts der Warnung vor Gemeinschaftsverschuldung nicht auf, dass die EU einen gemessen an den Absichten des Wirtschaftsblocks, nämlich der Potenzierung der Wachstumspotentiale durch Zusammenlegung zu einem gemeinsamen Binnenmarkt, folgenschweren Widerspruch von kollektivem Geld und der Absage an eine gemeinsame Verschuldung genau in dieser Sorte Geld implementiert hat. Denn dieser Widerspruch von Kollektivgeld und einzelstaatlicher Verantwortung für die Schuldenbewirtschaftung macht sich so geltend, dass nicht nur das wechselseitige Streitigmachen von Kapitalwachstum per Konkurrenz von nach wie vor souveränen Nationen dem entgegensteht, dass das gesamteuropäische Wachstum gerade in einer Weise angeschoben werden sollte, wie die Summe der Einzelstaaten es nie hinlegen würde: die Verantwortung für die Ergebnisse der Schuldenwirtschaft bei den einzelnen Nationen führt bis dahin, dass die einzelstaatliche Wachstumsfähigkeit regelrecht unterminiert wird, die Verweigerung der Beglaubigung der Schulden durchs internationale Finanzkapital heißt, dass ganze Staaten als Beiträger für die Geld- und Kreditmacht der EU ausfallen (Beispiel: Griechenland).